Ein quälendes Protokoll

Das "klagenfurter ensemble" zeigt im „Theater Halle 11" ein bewegendes Deserteurs-Drama nach Texten von Enzensberger und Heiner Müller.

Wer hätte gedacht, dass der „arglose Deserteur" hingerichtet wird? Ed Slovik, der 24-jährige GI auf Kriegseinsatz in Frankreich, dachte es nicht. Schließlich war es bisher noch nie vorgekommen: Mehr als 1000 zum Tod Verurteilte der US-Armee im Zweiten Weltkrieg wurden begnadigt. Der polnische Einwanderer-Sohn als einziger nicht. Vielleicht war er „arglos", wie Hans Magnus Enzensberger in seiner literarischen Aufarbeitung des Falles konstatiert, jedenfalls war der Bursche nicht besonders mutig, „weich wie Milchsuppe". Ein netter Kerl, an dem ein Exempel statuiert wurde. So wie in einem Stück Heiner Müllers rund um die Rechtfertigung eines Offiziers für die Exekution eines Fahnenflüchtigen: „Braucht es einen Toten, damit ein Bataillon ein Bataillon wird?" Beide Texte montierte Regisseur Rüdiger Hentzschel (der auch selbst den Schlussmonolog spricht) zu einer bedrückenden Vermessung des Spannungsfeldes zwischen Loyalität und Selbsttreue: „Keine Gnade für Ed Slovik" ist das quälende Protokoll einer Hinrichtung - raffiniert aufbereitet von vier Darstellern, die immer wieder die Rollen wechseln, einmal nüchterne Erzählstimme sind, dann wieder verliebte Ehefrau (Natalie Ananda Assmann), Kollegen, Vorgesetzte, Freunde Sloviks (Oliver Vollmann, Alexander Mitterer). Miha Kristof ist der bubenhafte, etwas einfältige Eddie, der „wieder davon laufen" würde, wenn sie ihn „an die Front schicken" und der deshalb schließlich an die Wand gestellt wird. Diese Wand ist eine zerbröckelnde Mauer im Bühnenhintergrund, eine Ruine, die für die ärmlichen Verhältnisse der Pro¬tagonisten so wie für das brüchi¬ge moralische Gerüst jedes Krie¬ges stehen mag. Davor spielt sich das Leben ab, mit Musik (Oliver Vollmann am Akkordeon) und Kartoffel-Schälen („Jeder Pollack isst Kartoffel-Puffer!"), mit ei¬nem Haufen von Briefen (376 schrieb Slovik an seine Frau) und Blechgeschirr. Das Aufrollen des Falles beginnt mit einer Einwei¬sung zur Exekution - wie die nüchterne Schilderung der Si¬cherheits-Maßnahmen durch die Stewardess zu Beginn eines Flu¬ges. Unausweichlich steuert die Geschichte auf ihr Ende zu - ein starkes Stück.

Kleine Zeitung

„Keine Gnade für Ed Slovik": mutige, geglückte ke-Premiere

Immer geht der Tote meinen Schritt

Vor 70 Jahren, am 8. Mai 1945, galt der Zweite Weltkrieg offiziell als beendet. Für das klagenfurter ensemble (ke) dringlicher Anlass, die Frage nach der Schuld zu stellen und für seine neue Produktion das schwierige Thema Fahnenflucht anhand konkreter Ereignisse zu beleuchten. Am Dienstag galt zur Uraufführung von Rüdiger Hentzschels Stück im dicht besetzten Theater Halle 11 die Parole: „Keine Gnade für Ed Slovik". Sein kurzes Leben stand unter keinem guten Stern. Und seine Hinrichtung war angesichts der unüblich humanen Umgangsweise der USA mit Deserteuren an Tragik kaum zu überbieten. Denn der 24-jährige Pole war seit 1864 der einzige Fahnenflüchtige der US-Army, der erschossen wurde. Knapp vor Kriegsende. Hentzschel erzählt die Geschichte mit viel Anteilnahme und ohne aufgesetzten Pathos. Für sein stimmig verdichtetes, stark dokumentarisch geprägtes Mosaik aus Texten von Hans Magnus Enzensberger, Heiner Müller und William Bradford Huie zeigt er einen unbedarften Pechvogel, der eingezogen wird, als sich das Blatt zum Guten wendet. Vor dem Hintergrund einer kriegsversehrten Hausruine tragen Oliver Vollmann, Alexander Mitterer und Natalie Ananda Assmann Kartoffel schälend und kochend Slovik durch die Stationen seines Lebens, wechseln Blickwinkel, sind Gefängniswärter. Arbeitgeber, Kameraden, Freunde, Frau und Vollstrecker. Miha Kristof als fremdbestimmtes Bauernopfer und argloser Deserteur mit „gesundem" Fluchtinstinkt ist genauso überzeugend wie alle Beteiligten, die sich der kollektiven Schuldfrage als inhaltstragendem Element der Handlung stellen müssen. Das Dilemma Fahnenflucht können die (manchmal naiven) Schlussfolgerungen auf den (mutigen oder feigen?) Akt der Gewaltverweigerung nicht lösen… Am Ende, macht sie betroffen — die Fratze Krieg. Wenn Hentzschel als russischer Kommandeur einen Deserteur erschießen lässt und dabei seine Seele zerbricht: „Und immer geht der Tote meinen Schritt", wird er sagen. Verhallen wird ihm dieser eine, lauteste Schuss nie.

Kronenzeitung, Irina Lino

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