Makelloser Parforceritt

Jandl berührt, irritiert, schockiert im ke-Theater Halle 11:

Mit seinem „stück“ will er dem Sprachgiganten Ernst Jandl gerecht werden: dem genialen Wortjongleur, dem scharfsichtigen Chronisten, dem todkranken Mann. Doch was Regisseur und Schauspieler Rüdiger Hentzschel für das „klagenfurter ensemble“ (ke) auf die Bühne stellt, übertrifft Donnerstag zur Uraufführung alle Erwartungen. Und kommt mit „scheissen tag“ einem Menschen ganz nahe, der berührt, irritiert, schockiert. Vier ebenbürtige Jandl, vier allumfassende Lebensphasen: Rüdiger Hentzschel, Gerhard Lehner, Kai Möller, Oliver Vollmann. Dazwischen eine Frau, DIE Frau: Friederike Mayröcker, von Katharina Schmölzer kompromisslos verkörpert und im (sprachlichen) Konjunktiv gemeinsamer Alltäglichkeiten ebenso an seiner Seite wie im lautschöpferischen „schtzngrmm“ oder im Schaufenster als Handpuppe für das berühmte Foto, das sie mit Krone und ihn mit Clownnase zeigt. Dass der brillante Spracherneuerer, Lehrer und Chronist einer von Krieg und Nazi-Herrschaft geprägten Zeit auch für Jandl-Ungeübte plötzlich als verletzlicher, liebender, leidender Mensch „begreifbar“ wird, der dem eigenen, stinkenden Verfall in obligatem Anzug mit obligater Brille in die hässliche Fratze lacht, liegt neben dem grandiosen Ensemble vor allem an Hentzschels schlüssiger, hochpräziser Jandl-Textcollage. Sie zieht in Bella Bans Strich-Punkt Bühnenraum-Poesie als „Talltones“ – verbrämte Lebensrevue(mit Gesang) vorbei, die im makellosem Parforceritt durchs Jandl Universum 90 Minuten die Spannung hält


Neue Kronenzeitung, Irina Lino

Foto © Günter Jagoutz

“* * - - oder: ein erfolgen jandln



Wie wird das gehen? Das fragte man, als das "klagenfurter ensemble" ankündigte, Ernst Jandls Texte von bekannter Vortragsmanier abzukoppeln. Siehe da: "scheissen tag" ist ein Glückstag fürs Theater!


*Klagenfurt* Ein höchst aufgeregter Verlagsvertreter fuchtelt mit dem Programmheft und erklärt, welcher Buchstabe und welcher Satz zu streichen sei. Ein schon auf der Bühne sitzendes Paar zelebriert "Szenen einer Beziehung" im Konjunktiv, in der Möglichkeitsform - der sprachliche Überwahnsinn um Zögerlichkeit, Distanz, Lügen und auch das Sich-Anschweigen in Zweiergeschichten durchsichtig zu machen. Dann begegnen einander ein "groß kunstler" und ein "professor für geschichten" um, traut in einem Koffer vereint, ein Loblied auf die "schön deutsch sprach" anzustimmen ...

klagenfurter ensemble

Groteske, Flair der 1950er im Raum, Kostümwechsel, Auf- und Abgänge, Slapstick, Gesang, Musik von den Talltones und ein hinreißend die Sprache Jandls repetierendes Bühnenbild ("punkt punkt strich strich", von Bela Ban, Bühnenbau Wilfried Winkler). Rundum durchdacht, präzise gearbeitet, textlich die fünf Schauspieler äußerst fordernd: Ein großartiger Erfolg für Regisseur Rüdiger Hentzschel und das "klagenfurter ensemble". Was beim Aufzählen nach "Schwere" klingt - schnell wieder vergessen, die kommt nicht vor. "Szenen" reihen sich nach Lebensbezug des Sprachspielers Jandl - und Regisseur Hentzschel arbeitet diesen "verdichteten" Lebensfaden ganz ohne existierende Autobiografie präzise als Wortrevue mit Musik heraus: Mit Hilfe von Gedichten, Briefen, Szenenausschnitten (Aus der Fremde), Bekanntem (weils dazugehört) und Unbekanntem. Die Schauspieler (Katharina Schmölzer, Kai Möller, Rüdiger Hentzschel, Gerhard Lehner und Oliver Vollmann) lassen die Texte ganz selbstverständlich, ohne Manier, erklingen. Ja, Jandl, ganz anders, ist mehr als gelungen. So sehr, dass Publikum nicht anders kann, als mit skandierendem Applaus zu belohnen! Und das alles erfreulicherweise - vor den Augen des designierten Stadttheaterintendanten Scholz als Gast ...

Kärntener Tages Zeitung (KTZ), Maja Schlatte

Foto © Günter Jagoutz

Mops, Muppets und Musik

Poetische Performance: Das klagenfurter ensemble stellt Ernst Jandl einfühlsam auf die Bühne. Ein Abend zwischen Avantgarde und Anarchie.


Poesie beginnt da, wo Gewöhnung aufhört", meinte der sprachspielende Dichter Ernst Jandl einmal sinngemäß in einer Poetik-Vorlesung. Und ungewöhnlich ist auch das Vorhaben des klagenfurter ensembles rund um Regisseur und Schauspieler Rüdiger Hentzschel, den 2000 verstorbenen Wiener Experimental-Lyriker an Hand seiner Texte zu porträtieren. Das ist nicht nur legitim - immerhin sprach Jandl selbst von seinem Werk als "verdichtetes Leben" - sondern das ist auch poetisch und überaus gut gelungen.
Bühnenbild und Ausstattung von Bella Ban bilden mit der ins Bildhafte übersetzten Textzeile "Punkt, Punkt, Strich, Strich", transparenten Schiebetüren und verschiedenen Spielebenen den beziehungsvollen Rahmen für die in vier Männer aufgesplittete Figur des Dichters: "Ich ich sein, ich sein meine Sprach, ich sein ein Professor".

klagenfurter ensemble

Der Kunstgriff bringt Tempo und Vielschichtigkeit ins Geschehen, das den humorvollen Sprach-Anarchisten ("Schtzngrmm", "Ottos Mops", "Lechts und rinks") in einem Kaleidoskop aus Kindheit, Nazi-Zeit, Katholizismus, das ihn wienerisch, zeitweise depressiv und jazz-begeistert zeigt. Musik und Rhythmus, die der Schöpfer der "Laut- und Sprechgedichte" zeitlebens sowohl in seinen Texten als auch in seiner Affinität zum Jazz auslebte, wurden von Richie Klammer, Primus Sitter und Stefan Gfrerrer ("the talltones") akustisch illustriert - revueartig, kurzweilig, voller Zitate aus dem Populärmusik-Kanon.
Dem grandios überzeichneten vierfachen Jandl (Rüdiger Hentzschel, Gerhard Lehner, Kai Möller und Oliver Vollmann) steht Katharina Schmölzer als weibliches Prinzip (vor allem als Lebens-Frau Friederike Mayröcker) zur Seite - "liebe, wie sie diese zwei empfanden, ist haut und fleisch, gehäuse, kern und saft". Sie ist es auch, durch die der langsame Verfall des Schriftstellers sichtbar wird: "Du alter Arsch, sagt sie, du wirklich alter Arsch". Mit Handpuppen á la Muppets, die von der Loge herab ihre Kommentare abgeben, wird das bekannte Foto von Joseph Rittenberg in Szene gesetzt, das Friederike Mayröcker mit Prinzessinenkrönchen und Ernst Jandl als Clown mit roter Nase zeigt. Poesie als Groteske. "Herzerfrierend" ist eines der Jandl-Wörter, die einem da in den Sinn kommen. Und das man nach diesem inspirierenden Theaterabend wieder einmal nachlesen sollte.



Kleine Zeitung

Foto © Günter Jagoutz

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