In den Lügen versinken

Eine Familie auf der Flucht vor der Vergangenheit: In Alois Hotschnigs "Absolution" des Klagenfurter Ensembles

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Klagenfurt - Dem Autor Alois Hotschnig (Gert-Jonke-Preis 2011) gelingt in seinem Stück Absolution das beklemmende Psychogramm einer Familie. Die Uraufführung fand 1994 in Wien statt. Für die Aufführung des Klagenfurter Ensembles in der Theater Halle 11, Regie führt Rüdiger Hentzschel, hat Hotschnig das Stück neu bearbeitet.Die Familie wartet auf die Überstellung des Leichnams des Sohnes Ludwig. Bunte Luftballons und ein wie für eine Geburtstagsparty gedeckter Tisch bilden surreale Requisiten. Sohn Georg (Theo Helm überzeugt als vorwurfsvoller Ankläger) holt seine Kindheitserinnerungen ans Licht. Er konfrontiert die Eltern mit dem 20 Jahre zurückliegenden Missbrauch.Katharina Schmölzer gibt die weißbeschürzte Hausfrau, die sich stickend dem Leben entzieht, zu oft weggesehen hat. Oliver Vollmann gelingt eine glaubwürdige Darstellung des Vaters - des "tugendhaften" Dämons hinter Spitzenstores -, der alle Selbstbeherrschung gegen Ende hin verliert. Im verzweifelten Versuch, das Unaussprechliche zu rechtfertigen.

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Das Verlangen nach Vergebung führt zum tragikomischen Bemühen, die eigene Vergangenheit immer wieder neu zu erfinden. Rüdiger Hentzschel lässt die Darsteller knöcheltief im Torf versinken. Weiße Türen beherrschen das Bühnenbild (ebenfalls von Hentzschel), versinnbildlichend für die hermetische Abgeschlossenheit nach außen. Absolution gibt es keine, keine Auflösung und auch keine Erleichterung beim Publikum. Was bleibt, ist Bedrückung. Viel Applaus gab es für diese herausragende Inszenierung und die Schauspielleistungen (berührend: Julia Gschnitzer als Berta). Die Theaterproduktion wird Ende 2014 auch am Schauspielhaus Salzburg zu sehen sein.

DER STANDARD, 15./16.3.2014/ Rieke Höller

Psychogramm der Ohnmacht

Wenn ein literarisches Schwergewicht wie Büchner-Preisträger Josef Winkler den Schriftsteller Alois Hotschnig für den ersten Gert-Jonke-Preis vorschlägt, den der Kärntner 2011 erhält, ist das kein Zufall. Ein Glücksfall ist das 1994 in Wien uraufgeführte Stück, das ab Mittwoch als ke-Eigenproduktion im Theater Halle 11 auf dem Spielplan steht und mit "Absolution" tief in Hotschnigs atmosphärische Dichte taucht.

Regie führt Schauspieler Rüdiger Hentzschel, der seit 1995 als gefragter Regisseur im deutschen Sprachraum arbeitet und beim klagenfurter ensemble (ke) u. a. für Jonke, Jandl, Kofler und Bernhard bewiesen hat, dass er Literarisches virtuos auf die Bühne zu heben versteht. An Hotschnig, den Hentzschel bei der Arbeit für ,Absolution‘ als interessanten und gesprächsbereiten Autor kennengelernt hat, der bereit war, "das Stück gemeinsam mit mir neu zu denken", fasziniert ihn, "dass er so unglaublich dicht beschreiben kann und gerade durch dieses Verschweigen, das sein Schreiben bestimmt, so viel sagt." Etwas nicht zeigen, um es sichtbar zu machen: Das ist auch der Urgrund, in dem sich eine abgründige Familiengeschichte entfaltet, die ein schreckliches Geheimnis unter klerikalkonservativer Kleinbürgerlichkeit, Spitzendäckchen und Biederkeit vergräbt. Doch nicht der "Missbrauch des Schuldirektors an fremden und wohl auch eigenen Kindern" ist für Hentzschel eigentliches Thema des Stückes, sondern die Frage, "ob es für bestimmte Taten Absolution geben kann." Wie der knisternde Psychokrimi um Gewalt und Verdrängung ein wuchtiges Thema an die Oberfläche holt, wird wohl die Premiere am 5. März (20 Uhr) im Theater Halle 11 vor Augen führen. Und dass die 82-jährige Grande Dame der Schauspielkunst und Mutter im Jedermann (!) Julia Gschnitzer die Klagenfurter Absolution in der Rolle der Berta adelt, ist ein absoluter Glücksfall.

Neue Kronenzeitung, Irina Lino

Kerben in die Stille schneiden

Erde bedeckt den Bühnenboden und macht das gutbürgerliche Wohnzimmer zum Friedhof der Unschuld. Denn unter den Teppich der Verdrängung kehrt Alois Hotschnigs christlich-konservative Durchschnittfamilie vor allem eines: Gewalt und sexuellen Mißbrauch, die eigene Lebenslügen wie Unkraut überwuchern. Grandios!

Irgendwo im Dorf-Überall. Ernst Volksschuldirektor mit weißer Weste und braunen Ambitionen....

Lesen Sie mehr! Krone / Irina Lino

Begrabene Familienidylle

Aneinander vorbei reden können sie gut, die Familienmitglieder in Alois Hotschnigs grausigem Kammerspiel "Absolution" im Klagenfurter Theater Halle 11.

Gegen den toten Sohn kommt er nicht an, der Patriarch. Ein Toter als Ankläger, ein Vater, der sich immer mehr in die Enge getrieben fühlt, eine hilflose Mutter, die Jahrzehnte lang das Wegsehen perfektioniert hat - das sind die Hauptdarsteller des beklemmenden Kammerspiels von Alois Hotschnig, das als Ko-Produktion des klagenfurter ensembles mit dem Schauspielhaus Salzburg am Aschermittwoch im Klagenfurter Theater Halle 11 über die Bühne ging. "Absolution" will der Lehrer-Vater für den lange zurückliegenden, aber nie eingestandenen Kindesmissbrauch - doch er bekommt sie nicht. Sohn Georg (eindringlich: Theo Helm), Überlebender und Totengräber zugleich, steigt in die Niederungen der Familiengeschichte und stellt Fragen an die Vergangenheit, versucht, das Schweigen zu brechen. Bruder Ludwig hat sich umgebracht, hört das Publikum zu Beginn. Die Familie wartet auf die Überstellung des Leichnams - bei Luftballons, Geburtstagstorte und Kaffee: "Ludwig kommt heim!" Doch "tot stellen, das war seine Lieblingsbeschäftigung", raunzt der zunehmend hysterisch werdende Vater (Oliver Vollmann), denn es bleibt unklar, ob der Tod des Sohnes real, imaginiert oder inszeniert ist. Buchstäblich knöcheltief waten die Darsteller im kleinbürgerlichen Morast des Wohnzimmers rund um den Sarg. Dieses starke Plädoyer gegen das Vergessen kreist, wie so oft bei Hotschnig, um die Abwesenheit von Personen, um hinterfragenswertes Familienglück, um die Einforderung von Wahrheit. (Auch im Roman "Ludwigs Zimmer" geht es dem Autor, wenige Jahre nach Entstehung des Bühnenstücks, um schmerzhafte Erinnerungsarbeit.)

Lebenslüge

Rüdiger Hentzschels detailgenaue, liebevolle Inszenierung braucht - auch Dank der großartigen Ensembleleistung (herausragend Katharina Schmölzer als Mutter und Julia Gschnitzer als Berta) - den Vergleich nicht zu scheuen. Denn natürlich drängen sich Assoziationen auf - nicht so sehr zur Uraufführung von Hans Gratzer (Schauspielhaus Wien), mit der Hotschnig nicht besonders glücklich war; doch die großen Namen der Weltliteratur wie die der Lebenslüge-Spezialisten Henrik Ibsen und August Strindberg fallen einem da ein, Becketts "Warten auf Godot", aber auch der dänische Dogma-Filmregisseur Thomas Vinterberg, dessen Film "Das Fest" (mit gleicher Thematik) fünf Jahre nach Hotschnigs Bühnendebüt erschien und 2007 als Bühnenstück im Theater in der Josefstadt mit großem Erfolg aufgeführt wurde. "Ein starkes Ensemble, ein beklemmender Stoff", hieß es damals. Auch auf die Klagenfurter Inszenierung, die davon erzählt, "wie man Kinder umbringt", passen diese Attribute. Aber "auf sein eigenes Begräbnis kommt er ja nicht, der Herr Sohn!" - Auflösung gibt es am Ende keine, doch Betroffenheit und viel Applaus.

Link zur Kleinen Zeitung

Kleine Zeitung , Karin Waldner-Petutschnig